„Stenzel (10/4), Schulte (5/1), Schauhoff (3), Spratte (war dabei), Haase (auch), Bothen (bedingt), Wiegel (fehlte) …“
Da war Sie endlich, die E-mail, die lang Ersehnte, die Einladung, die Einladung zum Handballspielen, etwas spät nach dem ich all die Jahre nicht mehr gefragt wurde, aber nun gut… .
Ich geriet in alte Träume, wer mag es sein? Wer hat sich erinnert? Wem kann man helfen? Kann ich noch mithalten? Wer hat denn wohl solche Not? Der alte Jugendverein, wieder der ETB, oder was ganz Neues? Bleib ich wie immer in der Landesliga Gruppe 4, oder muss ich mit der Familie umziehen, vielleicht ins Ausland? Oder doch nach all den Jahren, lange erhofft, endlich, verdient oder nicht, doch nicht etwa, der TuSEM … .
Schon liebevoll, aber doch etwas ernüchternder gab sich dann beim weiteren Durchlesen die genaue Einladung. Abschiedsspiel, alte Weggefährten treffen, 3. Halbzeit, Umtrunk, Christian Stenzel, na ja irgendwie, aber na gut, immerhin, dachte ich, Hauptsache ich bin dabei.
Der Rest war liebgewonnene Routine, Termin kontrolliert, kurz die Familie gefragt, Tasche gepackt (war nicht ganz so einfach die Sachen zu finden) und dann ab wie früher, Geschichte schreiben, Drachen töten….
Aber Stopp, alles der Reihe nach.
Alte Freunde sprachen plötzlich bei dem Gedanken an einen aktiven Part meinerseits, vom Tatbestand der versuchten vorsätzlichen Körperverletzung, begangen an einem selbst.
Die Kinder verabschiedeten sich ungewohnt intensiv mit langen Umarmungen und reichten mir selbstgemalte Bilder und Briefe.
Und dann die verständnisvollen, mitfühlenden, liebenden Worte meiner Frau, ungewohnt aber routiniert wie früher, nach sieben Jahren Handballentwöhnung: Fängt das jetzt etwa wieder an? Muss das denn sein? Triffst Du wieder die alten Spinner? Nimm wenigstens die Kinder mit, wenn du spielen gehst. Denk an Dein Knie, denk daran, Du hast Verantwortung. Komm nicht so spät wieder und nimm auf dem Weg wenigstens den Müll mit raus.
Okay, na gut, dann eben die passive Rolle. Ist vielleicht besser so, dachte ich. Wird den anderen ja wohl nicht anders gehen, sind ja alle alt genug, die haben schließlich ja auch Verantwortung, sollen es doch die jungen machen, dann trifft man sich eben auf der Tribüne.
Beim Betreten der Halle kamen mir dann allerdings erste Zweifel über die Selbsteinschätzung ehemaliger Mitspieler. Der eine oder andere muss sich wohl heimlich aus dem Haus geschlichen haben, und beim weiteren Betrachten traten zwiespältige Erinnerungen an die Grenzbereiche des menschlichen Körpers auf.
Als ich auch noch mein altes Torwart-Trikot in Aktion sah, dachte ich kurzzeitig verwirrt ich wäre schon da, aber die Bewegungen des neuen Trägers waren irgendwie zu hektisch, zu uninspirierend, zu unvollständig, das Trikot zu unausgefüllt, ich war es wohl doch nicht.
Und dann das Halbzeit-Fachsimpeln der eigenen Kinder mit der Fachkraft vom TuSEM (von den Kindern allein schon des Namens wegen geliebt) über Harz, oder eher über „Was ist das denn da, darf ich mal, iiiiiiih, klebt das, das geht ja nie wieder ab“, na ja Männer machen Mädchen, egal.
Aber es wurde noch intensiver. In der zweiten Halbzeit verbildlichte sich beim Betrachten eines anderen Torhüters spontan sogar ein fast vergessener Wikepediaeintrag vor meinen Augen, den ich hier lückenhaft zitiere:
… die populäre Schaukampf-Sportart. Der Sieger steht schon vor dem Match fest, die Abläufe werden teilweise improvisiert und mit Showelementen und Storylines angereichert. … Die hier behandelte Sportart ist eine Mischung aus Show und Sport. Das Ziel ist nicht der Wettkampf, sondern die Zuschauer bestmöglich zu unterhalten („Entertainment“). Die Storylines, die um das Match-Geschehen und die Akteure herum erfunden werden, kann man mit Seifenopern vergleichen. Man versucht, die Zuschauer so zu fesseln, dass sie die Show auf Dauer verfolgen. Deswegen inszenierte man immer wieder den „Kampf“ zwischen „Gut“ und „Böse“. Ähnlich wie bei einem Zauberer war es ungeschriebenes Gesetz, die Geheimnisse nicht nach außen zu tragen. Fakt aber ist, dass der Sport inszeniert ist. Die Abläufe der Matches werden zuvor mehr oder weniger detailliert abgesprochen, wobei der Detaillierungsgrad unter anderem vom Talent und der Erfahrung der Kontrahenten abhängt …
Jaja, die Wrestler dachte ich im ersten Moment, anscheinend war ich wohl doch zu sehr abgelenkt durch diesen modischen roten Torwart-Sweater, der mich einerseits vage, aber irgendwie nostalgisch anrührend an schwere gemeinsame Momente und andererseits an alte Kolumnen über „Textilvergehen“ erinnerte.
Doch zum Wesentlichen, zu den Flippers, zu The Hoff, zu Dir, lieber Christian. Um dann doch noch aktiv an Deinem Spiel teilzunehmen, sah ich mich weiter um. Da waren Sie wieder! Alle wie früher, auch die anderen Passiven auf der Tribüne neben mir, die unterscheiden konnten zwischen „Wollen und Sein“ um nur einige zu nennen, der Schulze, der Budde, der Marschner, natürlich der Norbert, der Raule, die Nicole, Deine Familie und wir alle, die anderen aus dem Verein und dem Umfeld, all die Weggefährten, die Freunde die dieses Spiel und den Verein so liebenswert machen, alle waren da, um Dich zu würdigen. Irgendwie lag wieder dieser vertraute Geruch aus Diebels und Nietzsche in der Luft.
Ich dachte an früher, die gemeinsamen Zeiten, die gemeinsamen Freuden und Erlebnisse, die großen Erfolge in der Landesliga, 3.,4.,7.,3.,4.,4.,(Reihenfolge beliebig, jaja, im Aufstiegsjahr war ich nicht mehr dabei) etc. und an die Abschiedsspiele der anderen Idole meiner Jugend aus den 90er-Jahren, Jürgen K. und Rudi V..
Versonnen fing ich innerlich an zu summen, erst alleine, dann fielen meine Kinder ein, dann die Umstehenden, dann die Tribüne, dann die ganze „Kop“ dann die Anderen 35.000, wie früher stimmten alle in die bekannte Melodie ein.
When you walk through a storm,
Hold your head up high,
And don’t be afraid of the dark.
At the end of a storm,
There’s a golden sky,
And the sweet silver song of a lark.
Walk on through the wind,
Walk on through the rain,
Though your dreams be tossed and blown
Walk on, walk on, with hope in your heart,
And you’ll never walk alone …
Walk on, walk on, with hope in your heart,
And you’ll never walk alone …
You’ll never walk alone.
Ich wollte die Worte wären von mir
und Du hättest sie gehört.
(ach ja, gefragt hat mich natürlich wieder keiner)
Bis dahin, Dein Onkel Arndt